Technische Universität Hamburg-Harburg – Institut für Konstruktion und Festigkeit von Schiffen
Prof. Dr.-Ing. W. Fricke, Dipl.-Ing. B. Gerlach, Dipl.-Ing. M. Guiard
Das IGF-Vorhaben 16765 N der Forschungsvereinigung Center of Maritime Technologies e.V. (CMT) wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Der Bericht kann beim FSM bestellt werden. Bitte senden Sie eine E-Mail an info(at)fsm-net.org
Zusammenfassung
In Passagierschiffen und Mega-Yachten werden zunehmend größere Fenster verwendet. Typische Entwurfsbelastungen sind dabei der Wasserdruck im Bereich von Frontschotten bei überkommendem grünen Wasser oder durch Eintauchen der Fenster im Notfall bei starker Krängung des Schiffes, sowie die Schub- und Normalspannungen aus der Längsfestigkeit insbesondere im vorderen und auch hinteren Teil der Außenhaut. Sowohl das Tragverhalten bei lateraler Drucklast als auch das Verhalten bei Schubbeanspruchung wurden in diesem Vorhaben experimentell und rechnerisch untersucht. Für die experimentellen Untersuchungen wurden fünf Versuchsmodelle – schiffstypische Stahlstrukturen mit großen Fenstern – im Originalmaßstab erstellt. Dabei wurden die Abmessungen der Fenster und die Anbindungsart (geklemmt/geklebt) variiert. Alle Stahlstrukturen waren vertikal versteifte Wände mit ca. 3000 mm Breite und 2800 mm Höhe. Die Modelle 1 bis 3 hatten 1500 mm breite und 1200 mm hohe Fenster, während die Glasscheiben der Modelle 4 und 5 1600 mm x 1900 mm groß waren. Die Scheiben der Modelle 1 und 2 waren geklemmt, die restlichen Scheiben wurden eingeklebt. Mit allen Versuchsmodellen wurden elastische Schubversuche und jeweils anschließend Traglastversuche mit einer lateralen Drucklast auf das Fenster und den umgebenden Bereich der Stahlstruktur durchgeführt. Die Versuche wurden durch Finite-Elemente-Berechnungen begleitet. Die Schubversuche haben gezeigt, dass das Mittragen der Fenster abhängig von der Schubsteifigkeit der Stahlstruktur stark variiert und zum Teil erheblich sein kann. Beim fünften Versuchsmodell, dessen Konstruktion wie bei einem Fensterband ausgeführt wurde, wurde die Schubsteifigkeit durch das Fenster nahezu verzehnfacht. Es wurden Prozeduren erarbeitet, um die Schubsteifigkeit unter Berücksichtigung der Fenster durch numerische oder analytische Berechnungen zu ermitteln. Die Steifigkeit der Stahlstruktur kann bei regelmäßiger Anordnung der Fenster analytisch auf Basis der Balkenstatik abgeschätzt werden, wobei insbesondere die Schubsteifigkeit im Kreuzungsbereich der Stege korrekt erfasst werden muss. Für FE-Berechnungen wurden Modellierungshinweise gegeben. Das Mittragen der Fenster wird wesentlich von der Steifigkeit der Klebschicht bzw. der Gummidichtungen bestimmt. Neben einer FE-Berechnung bietet sich auch hierfür alternativ eine analytische Betrachtung an, die allerdings eine iterative Berechnung erfordert, die als Scilab-Skript programmiert wurde. Mit den beschriebenen Prozeduren kann das Mittragen der Fenster in FE-Globalmodellen von Schiffen berücksichtigt werden. Durch die Traglastversuche wurde deutlich, dass das Tragvermögen der Glasscheiben oftmals nicht vollständig genutzt wird, wenn die Scheiben aufgrund der Durchbiegung von Glas und Stahl herausrutschen. Dieser Versagensmechanismus trat bei beiden geklemmten Fenstern auf, da bei dieser Anbindungsart der Glaseinstand mit typischerweise etwa einem Zentimeter geringer ist als bei geklebten Fenstern. Des Weiteren war zu beobachten, dass kaum sichtbare Defekte an der Glasoberfläche auf der zugbelasteten Seite die Glasfestigkeit erheblich herabsetzen. Verglichen mit den in den Vierschneiden-Biegeversuchen beim Glashersteller erreichten Spannungen entsprachen die während der Traglastversuche gemessenen Dehnungen im Glas Spannungen an der unteren Grenze des Streubandes der Bruchspannungen. In numerischen Berechnungen wurde untersucht, welche Maßnahmen förderlich zur Erhöhung der Traglast von Schiffsfenstern sind. Ein vergrößerter Glaseinstand, wie er in der ISO 11336-1 für große Yachten seit 2012 gefordert wird, ist eine effektive Maßnahme. Außerdem kommen die Versteifung der Struktur sowie die Verwendung einer steifen Zwischenschicht bei Verbundsicherheitsglas in Frage, wobei hier die Vor- und Nachteile abzuwägen sind. Bei der Verwendung von unterschiedlich dicken Scheiben im Verbundglas ist die dickste Scheibe auf der am ehesten belasteten Seite – der Außenseite – anzuordnen. Insgesamt gesehen hat das Vorhaben eine Reihe von neuen Erkenntnissen gebracht, diverse Fragen geklärt und Prozeduren zur Ermittlung des Mittragens von Glasfenstern in der Schiffsstruktur hervorgebracht.